Katholischer Pflegeverband

„unter Haushaltsvorbehalt“

So steht es im Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg mit dem Titel „ Jetzt für Morgen“.

Im Vorwort zum Themenblock: NAH AM MENSCHEN: FÜR EIN GESUNDES UND SELBSTBESTIMMTES LEBEN kommt die Wortwahl „unter Haushaltsvorbehalt“ relativ versteckt im letzten Absatz vor.
Es wird Hoffnung gestreut, wenn Geld da ist, können auch in Stufen die gesteckten Ziele verwirklicht werden. Gleichzeitig sind Ordnungspolitische und nicht finanzrelevanten Maßnahmen nicht davon betroffen. Was heißt das?

Es wird Wert gelegt auf einen weiteren Ausbau der Ausbildungsplätze in der Pflege - Gut so. Koordinationsstellen für Praxiseinsätze werden gefördert – lasst die Stadt- und Landkreise damit nicht im finanziellen Regen stehen. Eine einjährige generalistische Ausbildung steht im Fokus, aber wird den weiteren Verfall der Pflege nicht aufhalten können. Die Akademisierung soll ebenso gefördert werden um mehr Verantwortung in der Pflege zu erhalten. Setzt konsequent und sofort den § 63 Abs. 3c SGB V um und beendet die Modellversuche. Pumpt Geld in die Pflegehochschulen, dort ist es gut angelegt für unsere Zukunft. Im Ausland erworbene Abschlüsse in der Pflege sollen schneller anerkannt werden – diese Aktion verhindert nicht das Ausbluten der Branche. Eine konzertierte Aktion für Fachkräfte soll unter Beteiligten Akteuren ins Leben gerufen werden – Eine ähnliche Aktion scheiterte kläglich auf Bundesebene.

Betreuungskräfte sollen verlässliche Standards erhalten – gut für unsere Bewohner in den Pflegeheimen. Ein Fair-Care Siegel soll gute Arbeitsbedingungen in der häuslichen Versorgung auszeichnen. Welche Maßnahmen haben denn eine Chance um das Fair-Care-Siegel annähernd zu erreichen. Ohne die jetzt schon tätigen osteuropäischen Kräfte in den Privathaushalten wäre die Versorgung schon lange zusammengebrochen.

Und: „Wir werden uns in der 17. Legislaturperiode mit Nachdruck
dafür einsetzen, mit der Einführung der Pflegekammer die
Selbstverwaltung der Pflegekräfte und das Berufsbild insgesamt zu stärken.“
Im Bericht der Pflege-Enquete-Kommission aus der letzten Legislatur-Periode sind umfangreiche Verbesserungen geschrieben worden, u.a. auch die Einrichtung einer Pflegekammer. Warum eine erneute Befragung bei den beruflich Pflegenden, die seit 1,5 Jahren am Rand ihrer Kräfte arbeiten und mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade keine Kraft für eine flächendeckende Befragung mehr haben. Herr Minister Lucha will ja auch keine erneute Befragung. Das Gesetz liegt in der Schublade!

Daneben steht: „Gleichzeitig werden wir das Recht der Beschäftigten zur
selbstbestimmten gewerkschaftlichen Interessenvertretung unterstützen, um gute Tarifverträge zu ermöglichen.“ Berufsverbände und Gewerkschaften haben jetzt schon Vorstellungen wie hoch Einstiegsgehälter sein sollten. Wir sollten gemeinsam diese Vorstellungen durchsetzen.

All dies steht im Vertrag – aber immer unter Haushaltsvorbehalt!

Ja, Klima, Digitalisierung, Nahverkehr, Familie, Wohnen sind wichtige Dreh- und Angelpunkte in einem fortschrittlichen Land – aber auch hier „unter Haushaltsvorbehalt“! 

Der Vertrag benennt Brennpunkte, aber wenn aus den Pflegeberufen immer mehr Kollegen/innen fliehen, weil die Bedingungen nicht mehr ertragbar sind, mehr als ein Jahr Pandemie Körper, Seele und Geist zermürben, darf, nein muss sich die neue Regierung nicht nur im Land, sondern auch dann im Bund die Frage gefallen lassen: rennt eine ganze Branche mit den Beschäftigten wissentlich ins Verderben?
Dieses Verderben lässt aber gleichzeitig Kranke, Alte, Schwangere, Kinder, Behinderte in einem Vakum der Nichtversorgung zurück. Dies kann sich keine Regierung leisten!

Da helfen keine verzweifelten Versuche Kollegen/innen aus dem Ausland anzuwerben. Diese werden an den schlechten Pflegebedingungen scheitern und verlassen dann Deutschland wieder und wir sind keinen Schritt vorangekommen.

Deshalb Hr. Lucha, Hr. Kretschmann und Hr. Strobl streichen Sie den Titel „unter Haushaltsvorbehalt“ aus dem Themenblock: „NAH AM MENSCHEN: FÜR EIN GESUNDES UND SELBSTBESTIMMTES LEBEN“.
Wenn Sie es nicht tun, dann sind sie nicht mehr nah am Menschen, sondern weit weg. Es gibt kein gesundes und selbstbestimmtes Leben mehr, sondern dahinsiechende, fremdbestimmte Menschen ohne einen Hoffnungsschimmer auf Besserung.

Denken Sie an den Titel „Jetzt für Morgen“, wenn Sie es jetzt nicht tun, gibt es kein Morgen!
Und sprechen Sie mit uns Pflegenden! Wir bleiben nicht mehr still!

Ernst Olbricht
Vorsitzender
Landesgruppe Baden-Württemberg
Kath. Pflegeverband e.V.
18.05.2021

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