Meditation – Dreifaches vom Wachsen der Größe eines Menschen
Meditation – Dreifaches vom Wachsen der Größe eines Menschen
Jesus: „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst, und der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an, denn die Zeit der Ernte ist da.“
Jesus: „Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben? Es gleicht einem Senfkorn. Dieses ist das kleinste von allen Samenkörnern, die man in die Erde sät. Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, so daß in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können.“
Durch viele solche Gleichnisse verkündete er ihnen das Wort, so wie sie es aufnehmen konnten. Er redete nur in Gleichnissen zu ihnen. Seinen Jüngern aber erklärte er alles, wenn er mit ihnen allein war.
1. Das Nicht-machen
Laotse: „Durch das Nicht-machen ist alles gemacht.“ Jesus: „Die Erde bringt von selbst ihre Frucht. Des Menschen innere Erde bringt von selbst ihre Frucht.“
Wer hätte je von der kommenden Größe und von der hereinbrechenden Wahrheit des Menschen, die sich wunderbar auswirken kann, so sanft und so geduldig gesprochen wie Jesus.
Jede falsche menschliche Aktivität – wie die Erwartung eines politischen Messias in seiner Zeit – oder das Herabziehen von Gottes Güte durch Gesetzestreue und Buchstabenfleiß wie die Versuche der pharisäischen Gruppen, die wie ein Ziehen an Halmen, um sie zum Wachsen zu bringen, waren, wird von Jesus klar zurückgewiesen. An erster Stelle steht für ihn das Wachsen von innen. Es ein Geschenk dessen, der alles hervorbringt.
Das Leben als Mensch mit Gott ist bei ihm nicht als ein Gipfelsturm beschrieben, keine Hochleistung, kein Sprengstoff und keine Explosion. Gegenüber äußeren Anfragen und Angriffen kann Jesus sehr klar sein. Er kann Menschen herausfordern, alles hinter sich zu lassen und aufzubrechen. Hier an dieser Stelle ist Jesus unvergleichlich anders, mild und geduldig. Er wendet sich auch ganz gegen die Unruhe in der Not, jetzt müsse sofort etwas geschehen. Er stellt das geduldige Warten gegen die Ungeduld des Selbsteinschreitens oder des endlich mal auf den Tisch Hauens, damit mit einem Menschen schnell alles besser wird.
Ruhig und vertrauensvoll spricht er vom Allerwichtigsten, das es im menschlichen Leben gibt: vom Vertrauen in das zwar langsame, aber ganz gewisse Wachsen Gottes in unserem Dasein.
Kein Peitschenschlag, keine strenge Zuchtrute, keine zwingenden Gedanken im Kopf, kein Druck auf dem Herzen, kein Zwang auf der Seele, keine starren Maßstäbe, die wir von außen an unser Leben ansetzen müssten. Gott zerrt nicht an dem Keim herum und an der wachsenden Frucht auch nicht.
So denkt Jesus über unser Leben: Im Umgang mit uns selbst legt er uns ein grenzenloses Vertrauen nahe in das ruhige Reifen der von Gott in uns gesäten Kräfte. Keine Angst und kein Schrecken vor dem gestrengen Richter oder dem Allmächtigen, sondern ein befreites Aufatmen wie das Aufkeimen eines Samenkorns, wie das Wachsen von tief innen kommender Kraft, die sich im Leben mehr und mehr entfaltet.
Die Erde bringt von selbst ihre Frucht. Gottes Mutterboden in uns wird seine Frucht hervorbringen. Im Reich Gottes ist es dem Leben, das Gott uns schenkt, so eingestiftet, dass es wachsen will. Indem wir uns IHM anvertrauen, wächst es. Indem wir uns hingeben, bringt das Samenkorn Gottes in uns Frucht. Indem wir unsere Entfaltung Gott anvertrauen, bringen wir im Leben, aus der Erde unseres Inneren heraus, unsere Frucht. Im Samenkorn sind zudem alle Teile der zukünftigen Pflanze enthalten. Es ist Symbol des werdenden Lebens in seiner Ganzheit. Wir müssen uns keine Sorgen machen. Das Leben, das Gott in uns, in die Erde unseres Herzens, eingesenkt hat, enthält alles, was wir zum Fruchtbringen brauchen. Gottes Kraft in uns trägt Früchte von Güte und Geduld, von Annahme und Wahrhaftigkeit dem Leben gegenüber – daraus kommt die wahre Größe und die Entfaltung eines Menschen in seinem Menschsein.
2. Wachsendes Miteinander
Das Aussäen von Frucht ist in vielen Kulturen mit religiösen Vorstellungen verknüpft. Das Verständnis von Sterben und Auferstehen wird mit dem Samenkorn, seinem Vergehen und dem Werden des neuen Lebens verbunden. Im Alten Ägypten stirbt Osiris, in der Gestalt des Samenkorns in die Erde gesenkt, um danach in der sprießenden Frucht wieder aufzuerstehen. Jesus selbst greift gemäß dem Evangelium nach Johannes für sich auf das Beispiel des Weizenkorns zurück, um von seiner Lebenshingabe und seinem Auferstehen zu sprechen. Das Weizenkorn muss sterben, sonst bleibt es allein. Wer sich hingibt, der wird zum neuen Leben mit anderen auferstehen. Das Weizenkorn bleibt nicht allein – es steht auf zu einem Frucht tragenden Leben miteinander, nicht allein. Aus dem Wagnis der Selbsthingabe geschieht ein Wachsen der Beziehungsfähigkeit und der Beziehungen. An der Hingabe eines Menschen an sein Leben, an die Menschen, die er liebt und an Menschen, die in Not sind, gibt sich seine wahre Größe zu erkennen. Wahrhaftiges Miteinander wächst daraus.
3. Neues von Innen bricht alte Hüllen auf
Der Same kann nur dann keimen, wenn die Hülle von Innen gesprengt wird. Wir müssen uns nicht wundern, wenn unsere „Hüllen“ von Zeit zu Zeit erschüttert werden. Alte Verstehensmuster, uns bestimmende bisherige Verhaltensmuster, bisherige Formen des Denkens und Fühlens, Strukturen von Wahrnehmungen, Formen bisherigen Selbstverständnisses werden gesprengt. Von innen, aus dem lebendigen Kontakt und dem wachsenden Leben mit Gott in uns wird das Bisherige aufgebrochen. Neue Lebensvisionen, eine bisher unmögliche Weite und Größe, uns selbst, das Leben, andere Menschen und die Welt zu sehen und zu verstehen, werden möglich. Der Reichtum Gottes in uns lässt neue Lebensvorstellungen wachsen. Das Reich Gottes auf dieser Erde bringt auch unsere Bereitschaft, uns von innen her aufbrechen zu lassen, hervor. Nur wenn die Hülle – die Form unseres Lebens von innen – von Gottes Ruf in uns gesprengt werden darf – werden wir zur ganzen Entfaltung dessen kommen, was er in uns angelegt hat.
Es braucht als Anfang nur ein kleines Körnlein, es gilt das Wunder des kleinen Anfangs – wie ein Senfkorn, von Gott in der Tiefe unserer inneren Erde eingesenkt, und es genügt unser kleines Zulassen, dass es sich über unsere bisherigen Horizonte hinaus entfalten darf. Es ist nicht viel zu wenig, was wir zu bieten hätten, wir tragen einen Schatz in uns, der sich so entfalten möchte, dass unter seinem Schatten die Vögel des Himmels in ganz weitem Horizont, himmelweit, Menschen ihre Wohnung finden können.
PS: Von Zeit zu Zeit brauchen wir wie die Jünger Zeiten, um mit Ihm alleine zu sein. Von Zeit zu Zeit müssen wir mit Ihm alleine sein, ihn alles fragen und auf ihn lauschen, damit Er uns die Zusammenhänge deuten kann. In der Einsamkeit mit ihm, aus dem Einssein mit Ihm, wächst uns das neue Verstehen zu. Das Einsamsein und das Einssein mit Ihm lässt das Reich Gottes in uns keimen. „Seinen Jüngern aber erklärte er alles, wenn er mit ihnen allein war.“
Von Dr. Karl Wolf