Katholischer Pflegeverband

„Das lerne ich nie …!?“ Gedanken zum Übungsraum „Leben“

Von Dr. Christoph Seidl

Mit den Worten „Das lerne ich nie!“ bin ich als Grundschüler oft nach Hause gekommen. Ich war schnell enttäuscht, wenn etwas Neues nicht sofort und auf der Stelle funktioniert hat. Meine Mutter hatte wohl nicht selten ihre liebe Not mit mir, wenn Sie mit gutem Zureden versuchte, mich vom Gegenteil meiner Verzagtheit zu überzeugen. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann entdecke ich diese Ungeduld auch heute noch manchmal an mir.

 

Nicht nur Beruf und einzelne Fertigkeiten erfordern Geduld. Auch das Leben ist eine Übungssache! Daher hat es mir nie viel gebracht, wenn Ältere auf einen Fehler meinerseits sagten: „Ich hätte dir gleich sagen können, dass das so nicht geht!“ Erstens haben sie es nun einmal nicht vorher gesagt und zweitens gibt es viele Dinge, die ich nur durch eigene Erfahrung lernen kann, durch Versuch und Irrtum, ja auch durch schmerzhafte Fehler. Leben kann man nicht theoretisch lernen, nur durch „Übung“. Es gibt kein Fertigprodukt Leben, es gibt nur je einzelne Biografien, so unterschiedlich und vielfältig, wie Menschen sind. Insofern befinden wir uns als Menschen eigentlich permanent in „Skills Labs“, aber nicht in simulierten, sondern in realen. Drei von diesen Übungsräumen möchte ich ein wenig näher beschreiben.

 

BEWEGUNG

Solange wir leben, sind wir in Bewegung: Atmung, Kreislauf, Stoffwechsel, Zellwachstum. Es liegt nahe, dass sich auch die Lebenskunst durch Bewegung entwickelt. Ich merke es in Momenten, da ich den Eindruck habe, ich muss an die frische Luft, weil mir sonst die Decke auf den Kopf fällt. Sobald ich mich bewege, einen Spaziergang mache, zum Laufen gehe oder ein paar Tage zum Wandern in die Berge fahre, sehen die Probleme und Sorgen viel kleiner aus und der Kopf wird wieder frei, um klarer sehen und denken zu können. In Büchern, die sich mit der Vorbeugung oder der Bearbeitung von Burn-out-Symptomen beschäftigten, ist in aller Regel auch ein Kapitel über die Bewegung enthalten. Bewegung hat auch eine wichtige spirituelle Dimension. Ich denke an den Weg Marias zu Elisabeth, als sie von ihrer Schwangerschaft erfährt. Sie er-geht sich die neue Herausforderung. Ich denke an den Weg der Emmausjünger. Erst laufen sie davon, dann machen sie eine einschneidende Erfahrung und können anders an den ursprünglichen Ort zurückkehren. Der Weg ist ein Übungsraum für das Leben; was zunächst unfassbar oder gewöhnungsbedürftig ist, kann ich mir besser ergehen, als dass ich es aussitze. Vielleicht gehört gerade auch die körperliche Anstrengung dazu, die mir klar macht, dass das Leben kein „Spaziergang“ ist, sondern aus Herausforderungen besteht. Die unzähligen Menschen, die auf den Jakobswegen und anderen Pilgerpfaden unterwegs sind, können von der oft körperlichen Erschöpfung erzählen – und auch davon, dass diese Wege sie zu anderen Menschen gemacht haben. Es müssen gar nicht immer große Wege sein. Auf einem Kalenderblatt habe ich gelesen: Fürchte dich nicht vor dem kleinen Schritt, fürchte dich nur vor dem Stehenbleiben.

 

ZEIT

Um richtig in Bewegung zu kommen, muss ich den Alltag unterbrechen. Ich brauche Pausen – die ganz kleinen zwischendurch, einen geregelten freien Tag, aber auch mal mehrere Tage frei und natürlich auch große Ferien. Auszeiten sind – so sehr sie nach Nichtstun klingen – ein sehr wichtiger Übungsraum zum Leben. In diesen Zeiten regeneriere ich mich, fühle mich wieder mehr als Mensch, spüre meine Grenzen und meine Bedürftigkeit. Ich spüre, wie gut es tut, einmal nicht alles streng durchzuplanen. Ich nehme mir Zeit für das Spielerische, das schon für das Kind ein wichtiger persönlicher und sozialer Lernort ist. Nicht zuletzt ist auch die Unterbrechung eine spirituelle Größe. Der aus der Oberpfalz stammende Theologe Johann Baptist Metz (* 1928) nennt die „Unterbrechung“ sogar die „Kürzeste Definition von Religion“. Immerhin ist der wöchentliche Ruhetag eine Mahnung der Hl. Schrift. Darüber hinaus bietet sie ein Sabbatjahr an, eine Ruhezeit im siebten Jahr. Nach sieben mal sieben Jahren, also im 50. Jahr, soll es ein Jubel-Jahr geben, ein Jahr der Entschuldung, des Rückversetzens in den ursprünglichen Zustand des Menschen. Wenn es für die meisten Menschen auch schwierig sein mag, sich so große Auszeiten zu gönnen, so wird doch deutlich, dass Leben ohne Auszeiten nicht gut gelingen kann. Auszeiten sind Übungsräume, wir brauchen sie zum Leben.

 

EIN FREUND; EIN GUTER FREUND

Schließlich brauche ich fürs Üben – mehr noch als einen guten Lehrer – einen guten Freund oder ein gute Freundin, Wegbegleiter, die mir auf Augenhöhe begegnen, mich Fehler machen lassen, mich liebevoll oder auch einmal unsanft korrigieren, aber mir nie ihre Freundschaft aufkündigen, was auch grade passiert. Alleine bin ich oft nicht in der Lage zu erkennen, welche Eigenheiten sich in mein Leben geschlichen haben. Ein guter spiritueller Rat ist die „correctio fraterna“, die geschwisterliche Korrektur. Kritik ist nicht gerade schön zu hören oder leicht zu nehmen, aber wenn sie auf Augenhöhe geübt wird, nicht herablassend, dann ist sie durchaus lebensförderlich.

 

SKILL LAB „FASTENZEIT“

Die Fastenzeit, die Christen auf das Osterfest vorbereitet, ist ein ganz besonderer „Übungsraum“. Hier geht es nicht nur um Fasten und Verzicht, obwohl auch diese Übung gesundheitsförderlich ist. Die österliche Vorbereitungszeit lädt ein zur Unterbrechung von dem, was wir Alltag bezeichnen oder mit der Redewendung: „Ich bin halt nun mal so!“ gerne als unveränderlich hinstellen. Es ist eine Zeit, in der wir uns daran erinnern lassen, dass es auch ein „Mehr an Leben“ geben könnte, wenn wir uns auf den Weg machen und auf neue Erfahrungen einlassen würden. Es tut gut, wenn wir in solchen intensiven Zeiten – egal, was wir uns vorgenommen haben – einen Übungsleiter haben, im weitesten Sinn einen geistlichen Begleiter, der uns die Augen öffnet für die Möglichkeiten an Leben, die vielleicht sonst ungenützt in uns schlummern.

Skills Labs des Lebens müssen nicht simuliert werden. Ich kann jeden Tag zu einem Skills Lab, jede Begegnung zu einem Übungsfeld des Lebens erklären.

Dr. theol. Christoph Seidl

Seelsorger für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen in der Diözese Regensburg

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